Interview: Branding als Reise zu sich selbst

In diesem Interview teile ich meinen persönlichen Ansatz zu Branding: warum es bei der Person selbst beginnen sollte und wie ich Branding als Designerin in Zukunft gestalte. Es ist nicht nur ein Gespräch über Design, sondern eine Reise zu den Wurzeln dessen, was Branding für mich wirklich bedeutet.

Frage: Anne, in deinem Artikel hast du geschrieben, dass Branding für dich mehr sein sollte als nur Logos oder Zielgruppenansprache. Magst du erzählen, was dich zu diesem Gedanken gebracht hat?

Anne: Ich habe lange nach dem klassischen Ansatz gearbeitet: Marktrecherche, Interviews, ein darauf abgestimmtes Angebot entwickeln – und dann ein Branding darauf aufbauen. Das wirkt logisch und fundiert, aber für mich fehlte dabei die Tiefe. Ich habe gemerkt: So entsteht ein Konzept im Kopf, aber nicht unbedingt ein Ausdruck, der sich stimmig anfühlt.

Frage: Denkst du, dass das daran liegt, dass dieser Prozess von außen nach innen ging, statt umgekehrt?

Anne: Genau. Ich bin überzeugt, dass es von innen beginnen sollte – vor allem für Solo-Selbstständige, die oft eine Personal Brand aufbauen. Zuerst geht es um Fragen wie: Wer bin ich? Was macht mir Freude? Womit möchte ich mein Leben füllen? Es geht darum, sich den Freiraum zu nehmen, sich selbst zu entdecken und wachsen zu lassen. Wenn man sich von Anfang an eine feste äußere Hülle zulegt, die nur strategisch aufgebaut ist, schränkt man sich oft selbst ein.

Frage: Und du denkst, dass diese Fixierung auf ein fertiges Branding auch eine Hürde sein kann?

Anne: Ja, definitiv. Viele haben Angst davor, sich festzulegen – und das ist verständlich. Einen Brand Designer zu beauftragen, ist eine Investition. Natürlich soll das Ergebnis dann eine Weile Bestand haben. Aber genau dieser Gedanke erzeugt Druck: Es soll perfekt passen, alle zukünftigen Entwicklungen abdecken. Das ist unrealistisch. Kein Branding kann alle Eventualitäten vorwegnehmen. Ich glaube, viele trauen sich deshalb gar nicht erst loszugehen, weil sie meinen, schon alles im Voraus wissen zu müssen. Dabei entsteht Klarheit oft erst im Tun.

Frage: Wie könnte so ein Prozess aussehen, der von innen anfängt?

Anne: Für mich beginnt er mit Selbstfindung. Indem ich handle, werde ich zu dem, was ich sein möchte. Wenn ich Webseiten gestalten will, dann fange ich an. Wenn ich schreiben will, schreibe ich. So entdecke ich, wer ich bin. Branding begleitet diesen Prozess – es macht sichtbar, was schon da ist.

Und das „Was schon da ist“ zeigt sich in vielen Facetten: Wie arbeite ich? Welche Werte sind mir wichtig? Welche Energie strahle ich aus? Genau das kann man nicht theoretisch im Workbook beantworten, sondern nur durch Erfahrung. In meiner Arbeit beobachte ich das sehr genau und übersetze es ins Branding – als eine verstärkte Version dessen, was ohnehin schon da ist.

Um das festzuhalten, arbeite ich mit Moodboards oder – noch lieber – mit Scrapbooks. Das sind lebendige Sammlungen von Bildern, Farben, Schriften oder Eindrücken, die eine bestimmte Energie transportieren. So geht das Gefühl nicht verloren, sondern bleibt greifbar und kann später in konkrete Gestaltung überführt werden.

Frage: Du hast erwähnt, dass man mit einer Basis starten kann, die sich später ergänzt. Kannst du ein Beispiel geben?

Anne: Bei meinem eigenen Neustart habe ich genau das gemacht: Ich habe meine alte Website offline genommen und mit einer Minimal-Variante neu begonnen – nur Startseite, Blog und eine kurze Über-mich-Seite. Dazu drei Farben und eine Schrift, die einfach zu meiner damaligen Phase gepasst haben. Nicht nach Theorie ausgewählt, sondern nach Gefühl. Das hat mir die Freiheit gegeben, loszugehen. Genau das empfehle ich auch anderen: lieber klein anfangen und wachsen lassen, statt sich mit einem riesigen Brandingprozess zu blockieren.

Frage: Du sprichst von Reflexion und Journaling. Welche Fragen helfen dabei konkret?

Anne: Ganz wichtig sind Fragen wie: Was sind meine Stärken? Wie unterscheidet sich meine Arbeit von anderen? Was ist mir in der Zusammenarbeit wichtig – und was ist meinen Kund:innen wichtig? An diesen Schnittstellen entsteht oft der Kern fürs Branding.

Auch innere Fragen zählen: Wie will ich mich fühlen, wenn ich mein Branding anschaue? Wofür soll es stehen? Was kann es für mich tun – vielleicht auch in schwächeren Momenten? Branding kann ein Anker sein, der mich an meine Vision erinnert und mir Kraft gibt.

Frage: Du sagst, Branding ist Spiegel und keine Maske. Woran merkt man den Unterschied?

Anne: Ein Spiegel-Branding fühlt sich leicht und echt an – du kannst einfach du selbst sein. Eine Maske merkst du daran, dass du in eine Rolle rutschst, sobald du arbeitest. Du verbiegst dich, willst besonders professionell wirken oder denkst, du müsstest einer perfekten Außendarstellung gerecht werden. Das erzeugt Druck und lähmt. Spiegel-Branding dagegen verstärkt nur, was ohnehin da ist. Es gibt dir Sicherheit, statt dich zu überfordern.

Frage: Du hast angedeutet, dass dein Prozess modular und flexibel ist. Wie könnte das aussehen?

Anne: Ich stelle mir Branding wie eine Reihe von Schritten vor, die man einzeln gehen kann. Jeder Abschnitt ist für sich abgeschlossen – und danach hat man Zeit, Erfahrungen zu sammeln. Wenn es passt, geht’s weiter. Das können Check-ins sein, ein Gespräch oder einfach eine Pause, um Dinge wirken zu lassen. So entsteht Branding, das organisch wächst und wirklich trägt – statt ein fertiges Paket, das nach kurzer Zeit wieder in Frage gestellt wird.

Dieses Interview zeigt: Branding ist mehr als ein äußeres Konzept.

Es ist eine Reise, die bei einem selbst beginnt – mit Klarheit, Freude und Leichtigkeit.

Genau darin liegt die Kraft: wenn Branding nicht beschränkt, sondern Ausdruck verstärkt.

Anne Oehler
Brand Designerin
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Zufriedenheit statt Perfektion: Warum innere Ruhe dein stärkstes Branding ist

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